Freitag, 27. Februar 2015

Schildvortrieb im Berliner Boden - Wir profitieren von einer Londoner Erfindung

Wenn dieser Tage in unserer Stadtmitte die Tunnelbohrmaschine Bärlinde zu ihrer zweiten Reise vom Berliner Rathaus zum Brandenburger Tor aufbricht, dann sollten wir bedenken, welch großartige Technik hinter dieser Maschine steckt. Auch wenn die heutigen Maschinen deutlich technologisierter sind, verdanken wir die Technik des Schildvortriebs dem Londoner Pioniergeist.
Notwendig wurde dies, da man plante, einen Tunnel unter Themse zu bauen, um ohne Brücke den Fluss zu überwinden. Bereits 1807 wollte der aus Cornwall stammende Ingenieur Richard Trevithick eine Ringbahn konstruieren, doch der dazu notwendige Tunnel bei Rotherhithe brach schon bei den Bauarbeiten ein. 1818 meldete Marc Isambard Brunel ein bahnbrechendes Patent an: der Schildvortrieb.
Lebensweise des Schiffsbohrwurms (teredo navalis)
Quelle: Flingeflung aus der deutschsprachigen Wikipedia

Inspiriert wurde er vom Schiffsbohrwurm (teredo navalis). Was macht diese Tier so besonders? Der Schiffsbohrwurm ist ein bereits seit der Antike bekannter Schädling, der eigentlich kein Wurm, sondern eine Muschel ist. Mit den umgebildeten Schalen bohrt dieses Lebewesen ein Loch in Holz. Kalkhaltige Sekrete sorgen dafür, dass das Loch wasserdicht verschlossen wird - dabei ragen sogar Luftröhren aus dem Verschluss. Dieselben Sekrete benutzt das Tier, um das Bohrloch hinter sich auszukleiden. Wie lässt sich diese Technik nun auf den Tunnelbau übertragen? Brunel hatte die Idee im problematischen Londoner Grund Bohren und Bauen in einem Zug mit einem Schild zu machen, der die Arbeiter schützt.

Funktionsweise des Schildvortriebs
Während heutzutage im Schild schweres Gerät die Arbeit macht, waren es im 19. Jahrhundert Arbeiter, die den Erdaushub machten, Geröll und Gestein beseitigten und den Tunnelkörper errichteten. Nahe der Stelle, an der zuvor Trevithick scheiterte, entstand zwischen 1825 und 1843 unter der Regie von Marc Isambard Brunel und seinem Sohn Isambard Kingdom Brunel der erste Tunnel unter der Themse. Es ist übrigens der erste Tunnel, der einen schiffbaren Fluss unterquerte. Noch heute wird dieser Tunnel genutzt: Dort verkehren derzeit die Züge des London Overground zwischen den Stationen Wapping und Rotherhithe.
Diese Bauweise löste die typische Cut&Cover-Methode ab, mit der die ersten U-Bahnen in London errichtet wurde. Sie bot entscheidende Vorteile: Anders als bei Cut&Cover musste man nicht mehr eine ganze Straße abreißen und auch der Abriss von Häusern wurde seltener.
Der Ingenieur Peter W. Barlow veränderte das Design des Vortriebsschildes: Aus dem rechteckigen Kasten Brunels wurde ein Kreis. James Henry Greathead optimierte dann noch weitere Aspekte. So wurde der Schild nun hydraulisch vorangetrieben. Mit dem Greathead-Shield wurden Teile der heutigen Northern Line sowie die Waterloo & City Line errichtet. Trotz aller Verbesserungen blieb die Handarbeit von Arbeitern lange bestehen. Sogar beim Bau der Victoria Line in den 60er Jahren wurde zum Teil per Hand gegraben.

Noch heute sind im Londoner Boden sichtbare Reste des Baus zu finden:  Im Verbindungstunnel zwischen der Waterloo & City Line und der Docklands Light Railway (DLR) an der Bank Station. In einer Skizze des Komplexes - ein Tipp: man sollte vermeiden von Bank nach Monument umzusteigen, gerade in den peak hours macht das keinen Spaß - sieht man, wo der Rest des Schildes ist. In Verlängerung des Tunnels der W&C-Line nach Osten führt ein Tunnel zu den Bahnsteigen der Docklands Light Railway und der Northern Line sowie zur Station Monument, an der die District und Circle Lines verkehren. 

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Bildquelle: londonconnections.blogspot.de/
Mitten in der Tunneldecke des Fußgängertunnels sieht man eine rote Metallkonstruktion, die auf den ersten Blick - und auch auf den zweiten - so keinen richtigen Sinn macht. Es ist tatsächlich ein Teil des für den Bau der Waterloo & City Line genutzten Greathead-Shield. Entdeckt wurde es - wie auf der Erinnerungstafel unten erwähnt - beim Bau der DLR. Nun passieren tagtäglich hunderte Bewohner und Touristen Londons dieses Stück Ingenieursgeschichte. 


Nur wenige nehmen sich die Zeit, auch die dazugehörige Gedenktafel anzusehen. Greathead nutzte seinen weiterentwickelten Vortriebsschield später noch bei den Bauvorbereitungen der heutigen Central Line. Die Eröffnung (1900) der Central Line bekam Greathead nicht mehr mit: Er starb 1896.


Brunel, Barlow und Greathead haben es geschafft, dass ihre Idee und Optimierung des Schildvortriebs noch heute den Bau von Tunneln erleichtert. Auch wenn zwischen den Prototypen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und den heute genutzten Varianten Welten liegen, waren sie es, die als Pioniere die Untergründe leichter erkundeten. Problematische Böden, Flüsse und bebaute Oberflächen waren nun keine Hindernisse mehr, um Infrastruktur unter die Erde zu legen. Und so sind es heute riesigen Bohr und Beißbacken am Schild von Bärlinde, die die Arbeit machen, und Maschinen, die die Wände automatisch setzen. Aus dem kleinen Schild ist ein großer Wurm geworden, der eine kleine Arbeitsstadt mit sich zieht, in der Erdreich und Geröll auch gleich noch mitentsorgt werden, die betreuenden Arbeiter ihre Zeit und Pausen verbringen können und auch Noträume vorhanden sind. Begonnen hat es mit einem Wurm, der eigentlich eine Muschel ist, und mit dem Willen die Themse zu untertunneln.